Islamwirren im Westen, Roter Stern im Osten

Am Sonntag blickten Menschen weltweit auf 15 Jahre seit dem Terrorangriff vom 11. September zurück. Viele meinen, die Bedrohung im Alltag sei größer. Zwei Mittelostkriege endeten nicht, Libyen und Jemen brennen. Der “Islamstaat”, IS, dehnte sich in 24 Islamländern aus. Er zieht Jihadisten aus 120 Staaten an, ja leitet Terror im Westen - der massiv Kriegsfliehende aufnimmt.

Seit Ende 2013 sind in Amerika 110 Personen angeklagt wegen materieller Hilfe an den IS (2015 waren es 60). Paris vereitelte eben Anschläge auf die Kathedrale Notre-Dame und den Eifel-Turm - durch Jihadistinnen. Innenminister de Maizière sprach am 11. September von 520 Gefährdern und 360 relevanten Personen, die bereit seien, Terror zu fördern. Hoch wäre die Gefahr durch ausländische Hit-Trupps, fanatisierte Täter und unerkannte Einzelne daheim. Die sich für Mordanschläge auf den Islam berufen, missbrauchten diese Religion, weshalb ein Generalverdacht gegen Muslime falsch sei, zumal diese die meisten Opfer des islamistischen Terrors seien. Und: Der Islam berge keineswegs den Keim des Terrorismus.

Insgesamt gibt der Innenminister Rätsel auf. Warnend spricht er von den “islamistischen Gefährdern”, aber auch davon, dass der Islam keinen Terrorkeim trage. Er fordert Muslime in Deutschland auf, sich von “islamistisch motivierten Terror-Akten” zu distanzieren, doch behauptet, Terror habe nichts mit Islam zu tun – ein Widerspruch. Tragen Politiker, die es wissen sollen, so zur allgemeinen Verunsicherung bei, wie trennt er Islam und Islamismus?

Die Frage haben IS-Jihadisten beantwortet. Deren Amaq-Nachrichtenagentur meldete am 5. September 729 Suizidtäter von Januar bis August, darunter 81 allein im August. Knapp zwei Drittel entfallen davon auf Irak, meist in der al-Anbar Provinz, und das andere Drittel auf Syrien. Oft nehmen sie Autos mit enormen Ladungen, ein Drittel Sprengstoffgürtel. Ziele sind Iraker-Syrer, Christen, Schiiten, Kurden und Türken. Die jetzt anstehenden Kämpfe um Iraks Mosul und Syriens ar-Raqqa werden schwer. Abgesehen von Minen und Tunnels, drängt die Frage, was mit den Zivilisten wird, und zwar während des Ansturms und danach. Wenn der IS verliert, lebt seine Ideologie fort.

Wer ist wer?

Eine wahre Explosion an Jihadisten gab es, die als ideologische IS-Erben antreten werden. Islamisten erstreben wohl wieder ein Kalifat. Dafür gäbe es Räume zwischen Westarabien und Mittelafrika. Einige Gruppen benannten sich nur um. Aus dem al-Qaida-Zweig Jabhat an-Nusra wurde die Jabhat Fath ash-Sham. Extremisten - gibt es Moderate? Dies prüften Amerikaner und Russen zum Waffenruhepakt, der am 12. September beginnen soll. Aber vor Ort haben sich Achsen in den Gefechten gebildet, die nun quer durch alle Reihen gehen.

Der Streit - kaum verfolgbar im steten Zu- und Abfluss der Kämpfer aus Zivilisten und Militärs -, hängt von Definitionen ab. Für Präsident Putin bilden alle Terroristen, die gegen al-Asads Staatsmacht sind (ähnlich reagierte er auch auf Opposition in der Ukraine). Daher mag al-Asad in der Initialphase gegen al-Qaida-Zweige in Syrien vorgehen. Dies bestätigte Außenminister Kerry zunächst, aber das wurde gleich in Washington widerrufen. Es würde auch bedeuten, dass Amerika plötzlich mit al-Asad kooperiert. Viel ist unklar, zumal der Waffenruhepakt nicht publiziert wurde. Das Wall Street Journal notiert einige Kernpunkte.

Moskau-Teheran

Was Wunder, al-Asad trumpfte am 12. September im Damaszener Vorort Daraya auf, den die Rebellen zuvor nach vier Jahren Belagerung räumen mussten. Für den Autokraten ein Sieg als Zeichen seiner “Legitimität”. Er meinte, seine Truppen setzten ihr Wirken “ohne Zögern und unerbittlich fort, unabhängig von inneren oder äußeren Umständen”. Er scheint sich mit der anti-amerikanischen Achse Moskau-Teheran im Rücken noch sicher zu fühlen.

Der Kreml begann am 10. September, in Irans Bushir für $8,5 Milliarden ein zweites Kernkraftwerk zu bauen.

Der Kreml begann am 10. September, in Irans Bushir für $8,5 Milliarden ein zweites Kernkraftwerk zu bauen (vom 17. Januar bis 5. Februar erhielt Teheran von Amerika $1,7 Milliarden in Bar aus einem Waffendeal 1979). Kommt alles, wie in Teheran erhofft, wird al-Asad Juniorpartner bleiben. Sollte es an Nukes herankommen, wie Nordkoreas Atomtest am 9. September zeigte, wagt es dann niemand, Iran oder ihn anzugehen. Spekuliert wird wie früher, ob Pjöngjang Iran bei Brennstoffen oder Sprengköpfen helfe. Jetzt hat es Geld.

Ab Montagnacht, den 12. September, gilt die siebentägige Feuerpause in Syrien. Hält sie und kann Aleppo humanitär versorgt werden, wollen Amerika und Russland also den IS bekämpfen. Sie würden sich dann koordinieren. Doch gab Amerika in Kernpunkten nach. Denn es verlangte zuvor stets, Bashshar al-Asad abzulösen, so dass die Übergangsperiode und Wahlen frei werden. Jetzt setzte sich Präsident Putin in der Sache durch. Er will den Clan des Autokraten erhalten; und mithin auch die russischen Stützpunkte am Mittelmeer.

Die Zeit wird dies erweisen. Wladimir W. Putin gelang es in nur einem Jahr, sich als eine Gegenkraft Amerikas in Syriens Krieg zu etablieren. Ein Strom von Mittelostlern gibt sich in Moskau die Klinke in die Hand. Da Putin zudem mit China und der Türkei liiert ist, stieg er zum Hauptakteur in Mittelost auf. Im Kalten Krieg erfüllten die Sowjets diese Rolle mit der Folge, dass sich sieben Araberländer und die PLO um Algerien, Ägypten (-1974), Irak, Syrien und Jemen radikalisierten. Krude Autokratien, die erst Wellen an Revolten in der Globalära ab 1990 und 2011 stürzten. Al-Asad agiert als Rest des sowjetischen und Start des russischen Einflusses. Also 15 Jahre nach 9/11 dreht sich die Welt in einen Globalkrieg. Amerika büßte seine Führungsrolle in Mittelost ein. Russland und China trumpfen dort auf. Staaten greifen nach Nukes. Der Westen zerfällt in Europa, leidet an Unklarheiten, Führer versagen, halten indes noch Islamisten Tür und Tor offen.

Wolfgang G. Schwanitz ist ein Mittelosthistoriker und Hochberg Family Writing Fellow am Middle East Forum.

A historian of the Middle East, Wolfgang G. Schwanitz is a native of East Germany who was raised in Egypt. He holds a Ph.D. in Middle Eastern Studies from Leipzig University, has taught at five German and American universities, and served as head of Middle Eastern history at the Academy of Science in Berlin. Schwanitz has been a visiting fellow at the French Center in Cairo, Princeton University, and the German Historical Institute in Washington, DC. The author of nine and the editor of ten books, Schwanitz has published some 150 scholarly articles and over 500 newspaper and magazine pieces on modern Middle Eastern history and international relations. He is a fellow at the Middle East Forum.
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I recently witnessed something I haven’t seen in a long time. On Friday, August 16, 2024, a group of pro-Hamas activists packed up their signs and went home in the face of spirited and non-violent opposition from a coalition of pro-American Iranians and American Jews. The last time I saw anything like that happen was in 2006 or 2007, when I led a crowd of Israel supporters in chants in order to silence a heckler standing on the sidewalk near the town common in Amherst, Massachusetts. The ridicule was enough to prompt him and his fellow anti-Israel activists to walk away, as we cheered their departure. It was glorious.