Amoklauf in Münchener shopping center |
Schließt Merkel Türen?
Vor und nach dem Treffen der Anti-IS-Koalition gegen den “Islamstaat” auf der Joint Base Andrews in Maryland am 21. und in Washington am 22. Juli, kamen IS-Angriffe. In Kabul töteten Samstag Suizidtäter 80 Personen und verletzten 200.
Am Vortag ermordete ein Deutscher neun, meist Jugendliche in München und verletzte 27. Zuerst Terrorangriff genannt, ist der Amoklauf des Teenagers Ali David Sonboly fraglich. Er wuchs dort auf, da dessen iranische Eltern vor dem Millennium Asyl erhielten, aber sich säkular sehen. Viel ist offen, obwohl eine Affinität zum IS ohne dessen Order möglich ist, und es am fünften Jahrestag war, da der Norweger Anders B. Breivik 77 Personen erschoss.
Als Jihadisten agierten im Würzburger Zug am 18. Juli der afghanische Asylant “Riaz Khan Ahmadzai” (Identität in Zweifel, 70 Prozent kamen ohne Papiere), der mit Dolch und Beil vier Passagiere verletzte, und der Truckmörder Muhammad al-Hawiij Buhalal, der in Nizza am 15. Juli 84 Passanten umbrachte. Kanzlerin Merkel will nicht ruhen, bis präzise die “islamistische Radikalisierung” des Axtträgers erhellt sei. Dessen Attacke ist 2016 der dritte islamistische Fall in Deutschland. Verfassungsschützer Hans-Georg Maaßen meinte im Fernsehen, dass der IS weiter angreifen wolle. Doch verweist er auf Sprachkundige als Betreuer, wozu sich Berichte häuften, wie nicht geprüfte Dolmetscher ein Problem bilden.
Öfter vernebelt die Informationspolitik Sachlagen wie beim tödlichen Macheten-Angriff eines syrischen Asylanten gegen eine Frau am 24. Juli in Baden-Württembergs Reutlingen: dies habe nichts mit Terror zu tun. Das zeigt einen schiefen Migrationskurs, wie ihn Viktor Orban Merkel vorwarf, mit dem seit Jahresbeginn 222.000 Asylanten eintrafen, meist ohne Papiere. Am selben Tag traf ein Suizidbomber tödlich das Musikfest im Bayerns Ansbach. Der syrische Asylant tötete eine Person und verwundete ein Dutzend, darunter drei schwer.
In der Anti-IS-Koalition aus 30 Ländern verwies der Pariser Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian auf die Gewinne in ar-Ramadi, Hit, al-Falluja, Qaiyara and Manbij. Doch würde der Kampf nicht im Irak und Syrien enden. So besprach die Gruppe, wie das Agieren des IS in Sozialmedien zu bremsen wäre, speziell Aufrufe an Jihadisten im Westen. Nicht nur dort. Rio hob noch vor der Olympiade einen zehnköpfigen IS-Trupp aus. Auch Jihadis der al-Qaida riefen jüngst nach “Märtyrern im Globaljihad, israelische Sportler zu töten”.
Ein blutiger Ramadan endete, an dessen Start der IS zu den Angriffen im Westen aufrief. Laut Präsident Obama ein arger Ramadan mit hunderten Toten in Istanbul, Dhaka, Bagdad, Medina, Orlando, Nizza und Syrien. Nach Ende des Fastenmonats empfing er am 21. Juli im Weißen Haus Muslime Amerikas. Angriffe dürfen weder zum Generalverdacht gegen diese noch zur Diskriminierung führen. Der Zwist: Islamisten begründen aus dem Glauben ihre Gewalt. Obama: Muslime in Amerika sollten wie alle Amerikaner jenen entgegentreten, die glaubten, ihre Interpretationsart des Islam rechtfertige irgendwie diese Gewalt.
Desintegration
In solchen Grauzonen verfängt sich Politik zwischen Staat und Religion im Westen sowie Macht und Moschee in Islamregionen. Kairo zum Beispiel diktiert fortan den Imamen eine Einheitspredigt, um vielleicht auf diese Art den Islamismus abzubauen. Ein Ägypter dazu: Der Imam soll doch frei bleiben, interagieren und zu Themen aus seiner Umwelt predigen.
In Mittelost laufen zwei Prozesse parallel, deren Ergebnisse auch infolge der massiven Migration, darunter Jihadis, nach Amerika und Europa alle betreffen: der Ausgang diverser konventioneller Kriege in den unkonventionellen Asymmetrien nichtstaatlicher Akteure im Globalkrieg und der innerislamische, nach Sekten eingefärbte Zwist um den Politislam.
Im Westen tritt damit die Frage auf, ob Nationalstaaten wieder die Grenzen dicht machen, die Immigration aus “Räumen des Terrors” stoppen - oder aber tiefer überprüfen. Gegen eine unkontrollierte Einwanderung, die im Grunde weiterhin auch in Deutschland herrscht, ist in der Europäischen Union de facto eine Lage entstanden, in der zehn Staaten abermals ihre Grenzregimes errichtet haben und einige darunter darauf abzielen, diese zu verstetigen.
Brexit
Umgekehrt kann die unkontrollierte Einwanderung bedeuten, dass Amerika, nach einem Wechsel der Administration, Frankreich und Deutschland als “Räume des Terrors” einstuft mit tiefen Folgen, darunter bei Visen. Als Kanzlerin Merkel und Premier May in Berlin am 20. Juli frauliche Einmütigkeit vorstellten, betonte Theresa May, ein Grund des Brexits sei die hohe Immigration. Sie müsse kontrolliert, reduziert werden. Die Freizügigkeit der EU-Bürger nach Großbritannien wäre zu steuern. Immigration trage nur in den Zehntausenden.
Während also die Anti-IS-Koalition militärisch die Einnahme dies irakischen Mosuls und des syrischen ar-Raqqas mit der Frage angeht, wie dort die Lage nach dem IS-Kollaps stabilisiert werden könne (und die jihadistische IS-Dezentralisierung in Regionen außerhalb Mittelosts wie Kaschmir nicht übersehen darf), prägen sich Modelle heraus, wo Islamarten in Islamräumen demokratischer oder autokratischer wirken. Das ist ein Kern der Konflikte.
Kollisionen
All dies offenbarten seit dem 15. Juli der verfehlte Militärcoup - und Ankaras Reaktionen. Berlin zeigt sich besorgt über Ausnahmezustand und mangelnde Rechtstaatlichkeit, zumal sich Gegner und Befürworter Präsident Erdoğans auch in Deutschland befehden. Wenn es so weitergeht, dann kann es über lang oder kurz zu Fluchtbewegungen nach Mitteleuropa kommen, diesmal auch durch Türken als Asylanten wie vordem schon öfter durch Kurden.
Ein offensiver Weg Ankaras zum islamistischen, undemokratischen Modell geht Berlin an. Es signalisierte, keine weiteren der 15 von 35 Kapitel des EU-Beitritts zu eröffnen. Die Visaliberalisierung laut dem Flüchtlingspakt steht und fällt mit Ankaras Kurswechsel. Ab Sonntag steuert eine Gruppe unter Premier Yildirim “Säuberungen”. Am Vortag erwähnte Erdoğan 13.165 Verhaftete, dabei 8.838 Soldaten, 2.101 Richter und Anwälte, 1.485 Polizisten und 123 Generäle. Um 50.000 Lehrer und Beamte, “Gülenisten”, wurden entlassen.
Berlin hat sich vergriffen. Ordnungen vertragen nur ein gewisses Maß an Neuzuwachs. Geht soziale Kohäsion verloren oder wenden sich Asylanten gegen Bürger, schließen sie Türen. Zeit für ein Moratorium bis alles geklärt ist und endlich die Wähler den weiteren Migrationskurs legitimieren - oder nicht.
Wolfgang G. Schwanitz ist ein Mittelosthistoriker und Hochberg Family Writing Fellow am Middle East Forum.